Malzahns Melange

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Fast ist es ja beruhigend, dass auch Welt Online-Leser genug Hintergrundwissen besitzen, um sich über den Kommentar gegen Julian Assange und Wikileaks in über 500 Kommentaren furchtbar aufzuregen. So sehr jedenfalls, dass “Welt Online” sich heute mal wieder genötigt sah, die Kommentarfunktion zu schließen (natürlich wie immer ohne Begründung). Das passiert ansonsten vornehmlich bei Beiträgen, in denen es um Ausländer, Kriminalität, oder Hartz IV geht.

In einem ziemlich kurzen Beitrag ist dem Autor Claus Christian Malzahn - immerhin stellvertretender Politikchef der Welt-Gruppe - gelungen, alles hineinzurühren, was auf ganz schlimme Weise die alte analoge Weltordnung bedroht. Da vermischt sich mal wieder die vielbeschworene vermeintliche Rechtlosigkeit im Internet mit der vermeintlich arglos-wohlwollenden Einstellung gegenüber Kinderpornografie zu einem dumpfen Gedankenbrei. Auch Wikipedia bekommt sein Fett weg, denn auf den Seiten des Online-Lexikons darf bekanntlich jedermann folgenlos “üble Nachrede” betreiben. Ob diese aktuelle Ergänzung im Wikipedia-Eintrag über Malzahn wohl auch darunter fällt?

Millionen Menschen dachten, es ginge Wikileaks darum, Dreistigkeiten wie die Bespitzelung von UNO-Personal oder die Erpressung von Entwicklungsländern beim Klimaschutz zu aufzudecken, die von keinem geltenden Recht gedeckt sind. Wie naiv wir Internetapologeten doch sind. In Wirklichkeit hat sich Assange laut Malzahn längst “im Internet eine Wirkungssphäre geschaffen, die ohne geltendes Recht auskommen will”. Wir hätten es besser wissen können, denn schon als 16-Jähriger hat Assange Firmencomputer gehackt. Und von der Hackerethik der 80er Jahre und dem späteren Aufbau von Wikleaks führt bekanntlich ein geradiniger Weg zur Vergewaltigung? Wird schon irgendwas dran an den Vorwürfen aus Schweden, suggeriert Malzahn zwischen den Zeilen (und beteuert zugleich, Wikileaks habe gar nichts mit der Verhaftung zu tun.)

Was mich an dieser üblen Melange von Auslassungen, Suggestionen, Verdrehungen, dumpfen Ressentiments und abgenutzten Kampfbegriffen eigentlich am meisten anwidert, ist die Chuzpe, auch noch die Kostenloskultur im Internet irgendwie mit hineinzurühren. Malzahn hoheitliches Weltbild wäre wohl wiederhergestellt, wenn Assange hinter Gittern bleibt, Wikileaks und Wikipedia der Saft abgedreht wird, der Plebs wie in der guten alten Zeit sich nicht mehr äußern darf und am besten das gesamte Internet hinter einer hohen verlagskontrollierten Bezahlmauer verschwände.

Wenn Springers Chef Döpfner mal wieder den “Qualitätsjournalismus” (den natürlich nur Verlage erbringen können) beschwört oder sein Cheflobbyist Keese die Notwendigkeit eines Leistungsschutzrechts für Verlage propagiert, dann sind es Texte wie dieser des stellvertretenden Politikchefs der Welt-Gruppe, die man dabei vor Augen haben sollte.

Lesetipp: In gewohnter Schärfe hat sich auch der Spiegelfechter über Malzahns Kommentar geärgert.


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2 Kommentare » Schreibe einen Kommentar

  1. So etwas hat bei der WELT fast schon Tradition - schon Anfang 2007 nutzte dort Hendrik Werner die Berichterstattung über die Anfänge von WikiLeaks, um sein Mütchen an Wikipedia zu kühlen. Sein Artikel musste nach Protesten von Wikimedia Deutschland korrigiert werden: http://wikipedistik.de/2007/01/25/beeindruckende-redaktionsgeschwindigkeit/

  2. Pingback: Don Alphonso, WikiLeaks als globale Medienmarke und die feuchten Träume der Verleger « Ich sag mal