Der App-Streit ist nur ein Symbol - es geht um einen Paradigmenwechsel

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Es geschieht dieser Tage nicht oft, dass ich Verlegern, Verlagsmanagern und als Kommentatoren getarnten Verlagssprachrohren bei ihrem schrillen Geschrei rund um neue und alte Geschäftsmodelle Recht gebe - erst Recht nicht Matthias Döpfner, dessen Argumente beim Lobbyieren für ein Leistungsschutzrecht und bei der Debatte um angebliche “Web-Kommunisten” ich absolut nicht nachvollziehen kann. Auch diesmal macht es einem der Springer-Chef nicht leicht mit seiner Pauschalisierung „Wenn sich bezahlte Applikationen auf mobilen Geräten nicht durchsetzen, wird dies Tausende Arbeitsplätze in der Verlagsbranche kosten.“ (Anlass dieser Äußerung im “Focus” war die Ankündigung von ARD-Aktuell-Chef Kai Gniffke, im ersten Quartal 2010 werde es eine kostenlose “Tagesschau” App für das iPhone geben.)

Wenn Tausende von Arbeitplätze verloren gehen, dann wegen verlegerischen Versagens seit sich das Internet zur Massenplattform entwickelte, und nicht wegen einer proprietären mobilen Internet-Anwendung, deren wirtschaftlicher Erfolg für journalistische Inhalte bisher noch nirgendwo bewiesen wurde. Doch hinter Döpfners rhetorisch ungeschickter Übertreibung steckt viel mehr, denn letztlich geht es tatsächlich, wie Springers “Computer Bild” mit einer schrillen Kampagne suggeriert, auch um die Zukunft der Rundfunkgebühren (ich führe das weiter unten noch aus) und es geht tatsächlich, wie der “Kölner Stadt-Anzeiger” in einem undifferenzierten Kommentar schreibt, auch um “Machtansprüche”.

Warum es natürlich nicht wirklich geht, ist diese eine iPhone-App der “Tagesschau”. Dass der erwartbare Verlagsaufschrei trotzdem so laut und kampagnenhaft ausfällt, liegt zum einen am Timing. Man muss schon sehr naiv sein, um keinen Zusammenhang zu sehen zwischen Gniffkes Ankündigung und den ersten Springer-Bezahl-Apps, die nur wenige Tage vorher starteten.

Und außerdem spielt auch öffentlich-rechtliche Überheblichkeit eine Rolle. Gniffkes geäußertes “Verständnis für die Sorgen der Printkollegen und der Verlage, die auf der Suche nach tragfähigen Geschäftsmodellen im Netz sind“, dürfte von den Verlagen wohl eher als Ironie aufgefasst werden. Und mit seinem nachgelegten kleinen Seitenhieb (“Wir beschränken uns dabei auf das harte Nachrichtengeschäft und werden dem “interaktiven BILD-Girl” sicher keine Konkurrenz machen”) lenkt der ARD-Mann in seinem Blogpost natürlich auch davon ab, dass die “Tagesschau”-App sehr wohl in unmittelbarer Konkurrenz zur journalistisch gestalteten “Welt”-App steht. Ich bin skeptisch, ob Springers Apps über die erste Neugierphase hinaus bestehen können, zumal wenn jetzt ab dem zweiten Monat die vollen monatlichen Abo-Gebühren fällig werden (1,59€ / 3,99€ für Bild ohne/mit pdf; 2,99€ / 4,99€ ohne/mit pdf für Welt). Doch Gniffke signalisiert Springer und allen anderen Verlagen, die Pläne für kostenpflichtige Apps hegen: Egal, was ihr an Innovationen plant - wir werden es mit unseren Gebührenmilliarden sofort unterlaufen.

Richard Gutjahr ergreift in einem unterhaltsam geschriebenen Blogpost Partei für die Öffentlich-Rechtlichen und entlarvt Döpfners Arbeitsplätze-Argument zu Recht als Heuchelei. Doch in einem zentralen Punkt liegt er falsch. Gutjahr schreibt:

Auch Menschen, die arbeiten, die pendeln müssen und nicht pünktlich um 20 Uhr zuhause vor dem Fernseher sitzen können (oder wollen), haben ein Recht auf seriöse, öffentlich-rechtliche Nachrichten. Sie haben ein Recht darauf – denn sie haben dafür bereits gezahlt.

Mit dem Argument, die Gebührenzahler hätten dafür bereits bezahlt, werden auch die Internet-Angebote von ARD und ZDF gerechtfertigt, inklusive Abruf-Mediatheken. Die nutze ich ebenfalls gelegentlich - und ärgere mich jedesmal, wenn ich einen von mir “schon bezahlten” Beitrag nicht finde, weil ich mal wieder die 7-Tage-Abruf-Frist verpasst habe. Allerdings: Je mehr sich die Nutzung von ARD- und ZDF-Angeboten weg vom linearen Fernsehen und hin zu individueller Abrufangeboten im klassischen und mobilen Internet verschiebt, desto brüchiger wird die Argumentation, das sei ja alles schon bezahlt. Wirklich transparent ist die Höhe der Online-Etats von ARD und ZDF nicht. Zuletzt zeigte sich beim Streit um die neue programmbegleitende Kinder-Onlineplattform KiKaninchen von ARD und ZDF, wie biegsam Etats berechnet werden können. Laut der federführenden Anstalt MDR kostet das gesamte Angebot für ein Jahr nur 320.000 Euro. Kritiker kommen aber auf mindestens 1,5 Millionen Euro.

Mit jeder Ausweitung der Online-Angebote lässt sich der Mythos von bereits bezahlten Angeboten schwerer rechtfertigen. Das wäre allerdings auch gar nicht nötig, wenn die Politik sich nur endlich zum Eingeständnis durchringen würde, dass wir einen aus allgemeinen Gebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Internet nicht brauchen. Denn was Gutjahr schreibt…

Die Zeitungs-Lizenz, einst erteilt von den Alliierten, war für die Verleger über Jahrzehnte hinweg eine Lizenz zum Geld drucken; seit Kriegsende kaum ein Jahr ohne ein neues Rekordergebnis. Welche Branche kann das schon für sich beanspruchen?

… das gilt natürlich ebenso für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Seit ihrer Gründung besitzen ARD und ZDF ebenfalls eine Lizenz zum Gelddrucken. Und die ist sogar staatlich garantiert und krisenfest. Doch während die Gründungsväter unserer Republik völlig zu Recht das knappe Gut Rundfunkfrequenzen in den Dienst des Allgemeinwohls stellen und dort eine publizistische Vielfalt sicherstellen wollten, zählt dieses Argument im Internet nicht mehr, (was schon so oft diskutiert wurde, dass ich das hier nicht weiter ausführe). Es wäre also nur konsequent, wenn ARD und ZDF, die - wie auch Verlage schmerzhaft feststellen müssen - im Internet nur Einzelanbieter unter vielen sind, sich diesen veränderten Bedingungen im Internet ebenfalls stellen müssten. ARD und ZDF können im Web nur Teil einer publizistischen Vielfalt sein, aber sie sind nicht ihre alleinigen Garanten. Deshalb haben sie dort auch keine Sonderrolle verdient.

Der Streit um die Kosten von ARD/ZDF-Online und -Mobilangebote wäre hinfällig, wenn die Rundfunkgebühren mit der alleinigen Verwendung für klassischen Rundfunk (für den sie eingeführt wurden) gedeckelt würden und sich die öffentlich-rechtlichen Anbieter im Internet mit privatwirtschaftlich finanzierten Angeboten dem publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb stellen müssten. Natürlich in Form von privaten Gesellschaften, die nicht aus Rundfunkgebühren querfinanziert werden dürfen, sich aber im Gegensatz zur heutiger Gesetzeslage auch auf dem Werbemarkt betätigen dürfen. Mit anderen Worten: ARD und ZDF sollen ebenso wie jeder Anbieter im Internet tun und lassen dürfen, was sie wollen, aber bitte nicht gebühren(quer)finanziert. Wenn “Spiegel Online” eigenständig schwarze Zahlen im Web schreibt und nicht mehr von der Printausgabe quersubventioniert wird, dann dürfte das den Qualitätsangeboten von ARD und ZDF mit einer selbstgewählten Kombination aus Werbe-, Abofinanzierung, freiwilligen Spenden etc. ja wohl ebenfalls gelingen. Auch eine “Tagesschau”-App könnte und müsste dann unter fairen Bedingungen gegen eine “Welt”-App konkurrieren.

Konsequent weitergedacht müssten in diesem Gedankenmodell die klassischen Rundfunkgebühren in einem angemessenen Zeitraum sogar sinken, wenn der Mediennutzungsanteil des klassischen Fernsehens in einigen Jahren absehbar ebenso deutlich so sinken beginnt, wie das heute schon bei Zeitungen und Zeitschriften der Fall ist. Die Programmvielfalt und die Zahl der Sender müsste gegenüber heute natürlich verringert werden, wenn letztlich kaum noch einer zusieht. Damit würde sich aber auch die Debatte, ob die allgemeine Rundfunkgebührenpflicht noch zeitgemäß ist, von selbst erledigen. Statt immer mehr nicht-fernsehende webnutzende Gebührenzahler über den Umweg einer konstruierten PC-Gebührenpflicht abzukassieren, um das Gebührenniveau auf dem heutigen Stand von rund sieben Milliarden Euro zu halten, würde die Kritik mit sinkenden Rundfunkgebühren jedes Jahr ein wenig leiser werden und schließlich ganz verstummen. ARD und ZDF wären dann wirklich im digitalen Zeitalter angekommen.

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14 Kommentare » Schreibe einen Kommentar

  1. Pingback: Tweets die Medial Digital» Neu Web-TV digitale Märkte » Der App-Streit ist nur ein Symbol – es geht um einen Paradigmenwechsel erwähnt -- Topsy.com

  2. So sei es dann: In etwa drei bis fünf Jahren werden die Öffentlich-Rechtlichen die einzigen Rundfunkanstalten sein, die Ihre Inhalte über klassisches Fernsehen emittieren. Alle anderen Rundfunkanstalten nutzen andere Kanäle wie Internet und andere Endgeräte wie iPhones, Androids.

    Das wird dann der Zeitpunkt sein, wo wir mit unseren Gebühren die Grundversorgung sicherstellen, die keiner mehr will oder bekommt, weil keiner mehr einen klassischen Fernseher oder ein klassisches Radio hat. Verzeihung, auch die ÖR dürfen natürlich ein Bisschen im Internet spielen. Aber doch nicht so viel, dass sie den Privaten in die Quere kommen.

    Alle Rundfunkanstalten werden ihre Inhalte dann sogar unbegrenzt “on-demand” vorhalten. Nur die ÖR nicht, weil sie sich an die politischen Vorgaben halten müssen. Ja, auch mir gefällt dies nicht. Deswegen bin ich für deren Aufhebung.

    Denn ansonsten werden wir einerseits eine vollkommen unnötige aber noch mehr als heute überteuerte Grundversorgung durch die ÖR haben, die niemand mehr will. Und andererseits werden wir eine vollkommen unnötige - weil nämlich in Wirklichkeit gar keine - Grundversorgung durch die Privaten haben, die ebenfalls überteuert ist. Für die ich dann doppelt bezahlen muss: Zum Ersten muss ich durch den überhöhten Preis von Produkten die Werbeeinblendungen in Browser und Apps (die ich dann genau wie bei HD+ natürlich nicht ausblenden oder überspulen kann) bezahlen. Und zum Zweiten muss ich noch einmal dafür bezahlen, weil ich die iPhone- oder Facebook-App kaufen muss - oder eben die Karte für den HD+-Empfang meines Receivers bzw. meines Computers.

    Das ganze Konstrukt des Rundfunktstaatsvertrages und der Rundfunkgebühren ist krank. Denn einerseits soll eine Grundversorgung in Deutschland damit sichergestellt werden, und andererseits erhebt man die Gebühren “endgeräteverbrauchsabhängig” und versieht die ausführenden Organen sowohl mit unzähligen Einschränkungen als auch mit einer Konkurrenz, die den Regeln nicht unterliegt..

    Eine Lösung kann meines Erachtens nur in einer neuen und klaren Definition der Grundversorgung liegen, die unabhängig von bestimmten Geräten und Techniken sichergestellt wird.

    Doch bei den herrschenden und hoch-kochenden politischen Ränkespielchen werden wir vor 2020 noch nicht einmal eine Absichtserklärung zur Neuregelung bekommen….

  3. Bei allem gebührenden Respekt, liebe Ulrike Langer, aber ich kann die Mär von den sich immer weiter im Netz ausbreitenden Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr hören. Es ist Unfug.

    Der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag legt den öffentlich-rechtlichen Sendern derart starke und zumeist unsinnige Restriktionen auf – wie zum Beispiel die von Ihnen kritisierte 7-Tage-Regelung bei On-Demand-Angeboten. Schlimmer kann ein Wettbewerb doch gar nicht verzerrt werden! Dies kommentiert Professor Volker Lilienthal in einem Beitrag ( http://www1.bpb.de/publikationen/9Q3F9F,0,%D6ffentlichrechtlicher_Rundfunk.html ) so:

    „Die Zeitgrenzen wurden vom Gesetzgeber mit Rücksicht auf das private Fernsehen eingeführt. Rundfunkpolitik, deren eigentliche Aufgabe es doch ist, eine positive Kommunikationsordnung zum Wohle aller zu gestalten, mutiert hier partiell zu einer reinen Wettbewerbspolitik, die Schutzräume für die privatwirtschaftlichen Wettbewerber im dualen Rundfunksystem zu errichten versucht. Zeitgrenzen sind – wiederum aus Nutzersicht gesehen – kontraproduktiv, weil der Gebührenzahler und Staatsbürger das Recht haben sollte, sich zeitunabhängig aus verfügbaren Quellen genau dann zu informieren, wenn ein plötzliches Interesse ihn treibt, oder der Tagesablauf es erlaubt.”

    Recht gebe ich Ihnen, wenn Sie konstatieren, dass der App-Streit nur ein Symbol ist. Es geht in dem Streit um Medienkonvergenz, es geht um neue Ausspielwege, um phantasievolle Kunst- und Kampfbegriffe wie “Elektronische Presse” (was genau soll das eigentlich sein?) und damit letztlich um die Frage, ob es das Duale Rundfunksystem weiterhin geben wird. Ob öffentlich-rechtliche Angebote auch über neue Technologien verbreitet werden dürfen. Ob auch öffentlich-rechtliche Web-Angebote (ich rede von vorhandenen Angeboten und nicht von vermeintlich neuen) mobil ausgespielt werden dürfen. Genau DAS wollen die privaten Medien nicht. Die Verleger kommen wieder einmal zu spät und erklären kurzerhand etwas zu einem “Markt”, das sie bis vor kurzem geradezu verteufelt haben: nämlich das Internet. Ich weiß, wovon ich rede (ich war die längste Zeit meines beruflichen Lebens Redakteur bei privaten Printmedien). Und, by the way, es gibt schon seit Oktober 2008 öffentlich-rechtliche Apps für das iPhone – also lange bevor viele Verleger wussten, was das überhaupt ist.

    Warum also die Tagesschau keine Applikation für ein Smartphone anbieten darf, die technisch gesehen nichts anderes leistet, als dass sie einen mobilen Internetzugang zum eigenen Webangebot und zur Mediathek ermöglicht, bleibt mir ein Rätsel. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit Expansion oder gar “öffentlich-rechtlichen Wucherungen im Netz” zu tun. Hier wird ganz bewusst ein übler Kampagnenjournalismus betrieben, Gebührenzahler (und vor allem Medienpolitiker) werden von einer mächtigen Lobby durch bewusste Falschinformationen gnadenlos agitiert.

    Allein dieser Kampagnenjournalismus ist das beste Argument für eine kostenlose Tagesschau-App – aber dann bitte für alle internetfähigen Handy-Typen!

  4. Die Kritik an Richard Gutjahr’s Ausführungen machen doch nur dann Sinn, wenn PC’s und neuartige Rundfunkgeräte vom GEZ-Gebühren Modell ausgeschlossen wären und (falls keine Alt-Empfangsgeräte im Keller / Speicher stehen) keine Zahlungsverpflichtung für “Normalverbraucher” begründen würden … oder?

  5. @Frank Hamm
    Ja, die Beschränkungen der Ö-R im Netz sind absurd (7-Tage-Regelung, Haarspaltereien, was denn nun “programmbegleitend” ist, etc.) Es sind aber die unvermeidlichen Folgen eines vom Gesetzgeber nur äußerst schwammig definierten “Grundversorgungsauftrags”. Deshalb plädiere ich ja dafür, die Ö-R im Internet aus diesen unnötigen Zwangsfesseln zu befreien. Aber bitte mit allen Rechten (z.B. Werbung) und allen Konsequenzen (keine Gebühren).

    @Eric Markuse
    Wir sind uns doch einig - außer natürlich in Ihrem ersten Satz. Sie wollen doch nicht ernsthaft bestreiten, dass sich das ARD/ZDF-Internetangebot von Jahr zu Jahr ausweitet? Mit Mediatheken, YouTube-Channels, KiKaninchen, ZDF Parlameter, Radio-Communities, “Tatort” bei Facebook, Podcasts etc. Aber ich kritisiere das ja gar nicht. Ich finde gut, dass es diese Angebote gibt und die auferlegten Beschränkungen absurd (s. meine Antwort an Ihren Vorredner). Ich glaube nur nicht, dass es gerechtfertigt ist, ARD- und ZDF-Angebote im Internet aus Gebührenmitteln zu finanzieren. Für wirklich gute Ö-R Angebote im Netz würde ich bezahlen (auch übrigens für Ihre hervorragende Sputnik2 iPhone App).

  6. @Hugo E. Martin Ja, das macht nur dann Sinn. Aber meine Kritik an der PC-Gebührenpflicht geht auch aus dem letzen Absatz meines Textes hervor. Ich habe das bewusst knapp gehalten - mit diesem Thema kann man noch mal ein ganz neues Fass aufmachen. Und das ist schon oft getan worden.

  7. Nun, wer die Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen über Gebühren auf alt-artigen Rundfunkgeräten für sinnvoll findet, der kann dies m. E. gerne auch für neu-artige Rundfunkgeräte sinnig finden und fordern … allerdings sollte dann auch die (theoretische) Empfangsbereitschaft auf disseminierte Programminhalte für die betroffenen Endgeräte und deren Konsum- und Nutzungspattern treffen, ihnen angemessen sein …

  8. Eric Marcuse nimmt mir einige meiner Gedanken direkt vorweg:

    “Bei allem gebührenden Respekt, liebe Ulrike Langer, aber ich kann die Mär von den sich immer weiter im Netz ausbreitenden Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr hören. Es ist Unfug.”

    So ist es.

    Ich möchte ergänzen, dass ich auch die Mär von der unsichtbaren Hand des Marktes nicht mehr hören kann, die, folgt man solchen Argumentationen wie hier, ja angeblich dafür sorgen soll, dass sich durch markwirtschaftlichen Wettbewerb, an dem irrer Weise auch die ÖR teilnehmen sollen, die besten journalistischen Angebote herausbilden.

    So ein Unsinn, als wäre es die Aufgabe/Fähigkeit des Marktes für dem Allgemeinwohl dienenden intellektuelle Produkte zu sorgen. Der Markt schafft ja nichtmal die simple Versorgung mit Gütern für alle Menschen, und sozialen Mindeststandards. Und dann soll er auch noch sowas abstraktes und komplexes wie Journalismus befördern? Wenn das so wäre, dann gäbe es ja schon weit verbreiteten Qualitätsjournalismus im Netz. Vor allem in Ländern, in denen es kein ARD und ZDF gibt.

    @Ulrike Langer:

    “ARD und ZDF können im Web nur Teil einer publizistischen Vielfalt sein, aber sie sind nicht ihre alleinigen Garanten. Deshalb haben sie dort auch keine Sonderrolle verdient.”

    Mal abgesehen davon, dass dieses Argument keinen Einfluß auf die politische Entscheidung hat(te), dass der Markt, nicht eine öffentlich-rechtliche Anstalt, im Internet für Journalismus sorgen soll, setzt es ja vorraus, dass es im Internet eine publizistische Vielfalt geben soll. Da frage ich mich natürlich, wie das mit dem Verlagslobbyismus so mancher Politiker und Internetblogger zusammen passt :) Die Sonderrolle haben im Internet nämlich die Verlage, nicht die ARD oder ZDF. Das wurde ja schon gesagt. Zumindest wenn unter Sonderrolle ein publzitistischer Wettbewerbsvorteil zu verstehen ist.

    “und sich die öffentlich-rechtlichen Anbieter im Internet mit privatwirtschaftlich finanzierten Angeboten dem publizistischen und wirtschaftlichen Wettbewerb stellen müssten”

    Da haben wir ja den Bogen zu meinem ersten Gedanken und der unsichtbaren Hand geschlagen. Der Markt soll es also regeln. Wie kann man sowas bitte ernsthaft fordern? Das bedeutet meiner Meinung nach den Untergang des Journalismus im Internet. Die öffentlich-rechtlichen, durch Gebühren finanzierten, und sich keinem marktwirtschaftlichen Wettbewerb stellen müssenden Angebote sind einige der wenigen Angebote, die man überhaupt im Sinne von Meinungsbildung nutzen kann. Das wäre ja schlimm, wenn sich etwa die tollen Podcasts der ARD oder DLF einem ökonomischen Wettbewerb stellen müssten. Hilfe!

    “Die Programmvielfalt und die Zahl der Sender müsste gegenüber heute natürlich verringert werden, wenn letztlich kaum noch einer zusieht.”

    Sollen öffentlich-rechtliche Sender, die wenige Leute sehen, wirklich gestrichen werden, um alles dem Mainstream und der Quote zu unterwerfen? Gerade die kleinen Spartensender wie ZDFneo, einsfestival, ZDFtheaterkanal usw. haben gerade das beste Programm, füllen Lücken, die in der Marktwirtschaft gar nicht abgedeckt werden würden.

    Mein zum Thema passender Beitrag auf meinem Blog:

    http://tvundso.com/2009/12/29/warum-sich-die-bild-so-sehr-uber-die-offentlich-rechtlichen-aufregt/

  9. @Thomas Television
    “…ich kann die Mär von den sich immer weiter im Netz ausbreitenden Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr hören. Es ist Unfug.” Sie wiederholen einfach die Aussage von Eric Markuse, liefern aber ebensowenig einen Beleg dafür. Ich habe in meiner Antwort auf Herrn Markuse zumindest Beispiele aufgelistet, warum es keine Mär ist. Im übrigen geht der Einwand an der Sache vorbei: Wenn Sie meinen Text und meine bisherigen Antworten lesen, dann werden Sie feststellen, dass ich dem öff-rechtl. Rundfunk viel mehr Freiheiten im Internet einräumen würde als er heute hat.

    “Der Markt schafft ja nichtmal die simple Versorgung mit Gütern für alle Menschen, und sozialen Mindeststandards. Und dann soll er auch noch sowas abstraktes und komplexes wie Journalismus befördern?”
    Nach dieser Logik dürfte es “Brand eins”, “FAZ”, “SZ” oder “Die Zeit” gar nicht geben. Letztere betreibt übrigens auch und gerade im Netz einen hervorragenden Journalismus, ganz ohne Gebührengelder.

    “…dann gäbe es ja schon weit verbreiteten Qualitätsjournalismus im Netz. Vor allem in Ländern, in denen es kein ARD und ZDF gibt.”
    Richtig, den gibt es. Ich würde hier zwar keinen unmittelbaren Zusammenhang konstruieren, aber Qualitätsjournalismus im Internet gibt es vor allem in den USA. Teils von Verlagen, allen voran der “New York Times”, aber auch von verlags- und rundfunkunabhänigegen Anbietern: Politico, Current-TV, Onion News Network, The Huffington Post, cnet - um nur einige zu nennen.
    Zugleich kommt aus den USA auch der innovativste Online-Journalismus. Beispiele dafür finden Sie in Dutzenden von Beiträgen in meinem Blog.

    “Die öffentlich-rechtlichen, durch Gebühren finanzierten, und sich keinem marktwirtschaftlichen Wettbewerb stellen müssenden Angebote sind einige der wenigen Angebote, die man überhaupt im Sinne von Meinungsbildung nutzen kann.”
    Das ist allein auf Radio und Fernsehen bezogen richtig. Aber nicht im Internet. ARD und ZDF sind hier umzingelt von ebenfalls erstklassigen Angeboten. Die DLF-Podcasts finde ich übrigens ebenso klasse wie Sie. Und gerade weil sie qualitativ herausragen, könnten sie sich im Netz als Paid-Content-Angebote finanzieren. Ich würde jedenfalls gerne dafür bezahlen, Sie etwa nicht?

    Den Beitrag auf Ihrem Blog habe ich übrigens gelesen und fand ihn überwiegend gut. Aber an der Stelle, wo Sie Robin Meyer-Lucht als “(neo)liberalen Intellektuellen” diskreditieren (dass er sich auf die Seite der Verlage geschlagen habe, ist übrigens komplett falsch), hätte ich dann doch mal gerne gewusst, wer Sie eigentlich sind. Leider haben Sie kein Impressum, was presserechtlich riskant ist. Sie irren sich, wenn Sie glauben, Ihr Blog sei privat. Sobald Sie über gesellschaftlich relevante Themen wie z.B. Rundfunk schreiben, ist ein Blog nicht mehr privat.

  10. Wir befinden uns, was journalistische Inhalte im Internet betrifft, im Wilden Westen: Jeder Anbieter will seinen Claim abstecken. Und dafür werden teilweise die abstrusesten Argumente genutzt. Von daher ist das, was wir gerade erleben, natürlich nicht viel mehr als ein Schaukampf. Wir haben private Medien (vor allem im Printbereich), deren Finanzierungsmodell in Gefahr geraten ist. Diese Medien wissen, dass das Internet ihre Zukunft ist, aber sie wissen in der Regel noch nicht, wie sie damit Geld verdienen sollen. Und wir haben, was die Öffentlich-Rechtlichen betrifft, eine Gesetzeslage, die sich zwar an die neuen Gegebenheiten angepasst hat, aber meiner Meinung nach nur halbherzig.

    Natürlich haben auch die Öffentlich-Rechtlichen versucht, online ihre Macht auszubauen. Dass sie keine Singlebörsen oder ähnliches anbieten dürfen, ist sinnvoll. Aber sie sollten ihre Inhalte auch online anbieten können. Wenn sie das nicht machen würden, dann würde ich heute wahrscheinlich überhaupt keine Nachrichtenmagazine wie Tagesthemen oder heute journal mehr sehen. Auf viele Radiobeiträge und -sendungen wurde ich überhaupt erst aufmerksam, als ich sie on demand oder im Podcast entdeckt habe. Dass Sender ihre Inhalte nur programmbegleitend online stellen dürfen, halte ich für vertretbar und sinnvoll, auch die damit verbundenen Mehrkosten. Die 7-Tage-Regel dagegen ist schwachsinnig. Von gewieften Onlineredaktionen wird sie sowieso gedehnt.

    Das von Ihnen vorgeschlagene Modell finde ich interessant, allerdings nicht praktikabel. Denn wenn die privat-öffentlich-rechtlichen Online-Anbieter die Produkte ihres öffentlich-rechtlichen Pendants kaufen sollen, dann haben sie natürlich einen deutlichen Nachteil gegenüber den Printanbietern, die ihren Online-Auftritt zu einem guten Teil mit Inhalten aus dem Ursprungsmedium füllen, in der Regel ohne zusätzliche Kosten. Deren Online-Plattformen werden bzw. wurden zudem von den Medien noch subventioniert. Wie lange arbeitet eigentlich Spiegel Online schon profitabel? Klar, die Privaten haben ein Problem. Aber sollte man deswegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dafür bestrafen? Bei den privat-öffentlich-rechtlichen Online-Anbietern wäre solch eine Unterstützung ja gar nicht mehr möglich - wäre das nicht erst recht eine Marktverzerrung? Und sollte das von Ihnen vorgeschlagene Experiment wirtschaftlich nicht funktionieren, dann hätten wir in der Konsequenz vielleicht gar keine öffentlich-rechtlichen Online-Inhalte mehr.

    Wenn wir in die weitere Zukunft denken, wird Radio- und Fernsehnutzung sicher größtenteils vom Internet abgelöst. Sollten die privat-öffentlich-rechtlichen Online-Anbieter in einigen Jahren selbst Inhalte für die eigene Homepage produzieren, dann wahrscheinlich nur solche, die Geld einbringen. Denn sie müssten ja verdienen bzw. Verluste verhindern. Oder -viel wahrscheinlicher- sie würden nicht selbst produzieren, sondern ihre Inhalte weiter größtenteils aus dem TV und Radio übernehmen. Allerdings würde der klassische öffentlich-rechtliche Rundfunk damit längerfristig zu einer Produktionsfirma, die letztendlich nur die Dinge verkaufen kann, die online gut funktionieren. In der Praxis könnte das bedeuten, dass es online nur noch private Anbieter gibt, die Quoten hinterherrennen, um Geld zu verdienen (bzw. um keine Verluste zu machen). Für mich ist das kein angenehmer Gedanke.

    Und wie soll das Abo-Gebührenmodell konkret aussehen? Zahle ich dann doppelt - für UKW/TV und für online?

    Auch wenn das in der Praxis schon längst anders funktioniert, sollten die Öffentlich-Rechtlichen ihren Informations- und Bildungsauftrag ohne Quoten- und Markthörigkeit wahrnehmen können. Die Zeiten -und damit die Mediennutzungsweisen- haben sich geändert. Das war bei der Gründung der BRD noch nicht zu erahnen. Deshalb brauchen die Öffentlich-Rechtlichen einen eindeutigen Handlungsspielraum im Netz. Oder wir brauchen öffentlich-rechtliche Medien für das Netz.

    Aber wie wäre es denn zunächst damit: Zugang zu den Online-Angeboten der Öffentlich-Rechtlichen bekommt nur, wer auch GEZ-Gebühren bezahlt hat?

    Übrigens: Ich bin schon sehr gespannt auf das Programm von Dradio Wissen, das am 18. Januar auf Sendung gehen soll und gar nicht mehr über UKW verbreitet wird. Muss es auch gar nicht unbedingt, denn die Zielgruppe hört sowieso schon zu einem beachtlichen Teil Radio über das Internet. Und trotzdem halte ich das für Grundversorgung, denn einen Informations-Radiosender für jüngere Menschen gibt es bisher schlicht und ergreifend noch nicht.

  11. “Aber an der Stelle, wo Sie Robin Meyer-Lucht als “(neo)liberalen Intellektuellen” diskreditieren”

    Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, ob (neo)liberal, Intellektueller oder die Verbindung von beidem jetzt die vermeintliche Diskreditierung darstellen soll, aber ich habe es mal auf meinem Blog dem wahrscheinlichsten nach abgeändert. Danke für diesen und andere Hinweise.

  12. @Felix Hügel
    Ich freue mich darüber, dass Sie sich ernsthaft und differenziert mit meinen Thesen auseinandersetzen. Bei Ihrem Praktikabilitäts-Einwand gebe ich Ihnen Recht. Das ist nicht im Detail ausgefeilt, sondern eine These. Ich maße mir auch gar nicht an, in einem Blogbeitrag, den ich in zwei Stunden geschrieben habe, mal eben eine zukunftssichere Neuordnung der Rundfunkgebühren zu entwickeln. Etwas, das namhafte Medienjuristen seit vielen Jahren nicht schaffen. Allerdings stehe ich außerhalb dieses Systems und nehme daher für mich in Anspruch, ohne ideologische Scheuklappen, nicht bloß rein formaljuristisch und nicht aus dem Motiv der Besitzstandswahrung zu argumentieren.

    Mein Ansatz: Die “Tagesschau” iPhone App ist nur ein Symbol. Wir werden diese hitzigen Debatten immer wieder und wahrscheinlich auch immer schärfer bekommen, wenn es nicht gelingt, den öffentlich-rechtlichen Auftrag stärker zu konkretisieren. Ein Pseudo-Prüfungsverfahren (“Drei-Stufen-Test”) und die fragwürdige Umdefininierung aller möglichen internetfähigen Geräte zu Rundfunkempfängern sind dabei keine Hilfe.

    Ich sehe zwei Möglichkeiten: Entweder es bleibt bei einer allgemeinen Gebührenpflicht (ob in der heutigen Form, als Haushalts- oder Medienabgabe), die aus Akzeptanzgründen dann aber viel stärker als heute an dem Begriff informationelle Grundversorgung ausgerichtet sein muss. Dazu müsste man dann vieles, was ARD und ZDF senden, auf den Prüfstand stellen. Da dies aber schon seit so vielen Jahren nicht geschieht (es hätte schon mit dem Aufkommen der Privatsender geschehen müssen), habe ich diese Variante eigentlich abgeschrieben und mich stattdessen auf das Internet konzentriert. Ihren Vorschlag, die Nutzung der Webangebote an den Nachweis der Gebührenzahlung zu koppeln, finde ich interessant.

    Ich glaube aber, dass die Webaktivitäten von ARD und ZDF grundsätzlich auch privatwirtschaftlich organisiert werden könnten. Schon heute müssen Marktpreise ermittelt werden, wenn z.B. Rechte ins Ausland verkauft oder Videobeiträge für das Web an Verlage verkauft werden. Die BBC und BBC Worldwide (der kommerzielle Auslandsarm der BBC) sind buchhalterisch strikt voneinander getrennt. Es müsste also gehen, wenn man das ernsthaft will. Damit die Gebührenzahler dann nicht doppelt belastet werden, plädiere ich für eine allmähliche Abschmelzung der klassischen Rundfunkgebühren parallel zum allmählichen Rückgang der linearen Fernsehnutzung.

    @Thomas Television: Ich meinte natürlich “(neo)liberal”, nicht “Intellektueller”, wie Sie ganz richtig erkannt haben :-) “Neoliberal” ist hierzulande ein linker Kampfbegriff - ebenso wie “liberal” in den USA ein rechter Kampfbegriff ist.

  13. Pingback: Linkdump for 03. Januar 2010 | synapsenschnappsen

  14. Liebe Ulrike,

    vielen Dank für einen guten Beitrag zu einem bekanntlich fast schon totemotionalisierten Thema.

    Beim Thema “Bei allem gebührenden Respekt, liebe Ulrike Langer, aber ich kann die Mär von den sich immer weiter im Netz ausbreitenden Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr hören. Es ist Unfug.” kann ich Dich nur in Schutz nehmen. Im Rahmen der Drei-Stufen-Tests sollen sich die Etats der öffentlich-rechtlichen Online-Angebote auf über 100 Mio. mehr als verdoppeln. Wie neuen Regeln des Rundfunkstaatsvertrags interpretiert werden, werden wir erst am Ende der Verfahren im Spätsommer sehen. Bislang gibt es dabei Vorstellungen der Anstalten, wie weit über 7-Tage-Regeln hinausgehen, etwa bei Soaps.

    Siehe hierzu auch:
    http://carta.info/20204/markus-schaechter-den-12-rundfunkstaatsvertrag-interpretation/

    Es ist übrigens ein grosser Irrtum, der auch hier in den Kommentaren geäußert wird, dass mehr öffentlich-rechtliche Online-Angebote automatisch besser für die Nutzer oder die Demokratie sind. Wenn gestützt auf Gebührengelder Me-too-Produkte lanciert werden, die vorhandende Angebote verdrängen, dann ist nicht mehr Vielfalt, mehr Meinungsfreiheit oder mehr Innovationsgeist gewonnen. Gewonnen ist vor allem mehr Einfluss der Politik und von selbsternannten Eliten auf die Agenda der Inhalte - was einige vielleicht begrüssen mögen. Ich jedenfalls nicht.

    “Allein dieser Kampagnenjournalismus ist das beste Argument für eine kostenlose Tagesschau-App” - Diese Aussage stimmt, wenn man lieber Tagesschau- als Springer-Kampagnen mag (was ich nachvollziehen kann). Es gibt aber beides.